J.-P. Renard u.a. (Hrsg:) Le journal «raisonné»

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Titel
Le journal «raisonné» d’un vicaire général du diocèse de Bâle dans la première moitié du XVIIe siècle. Das Amtstagebuch eines Generalvikars des Bistums Basel in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts


Herausgeber
Renard, Jean-Pierre; Thomas, Henrici
Erschienen
Freiburg 2007: Academic Press
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marco Jorio

Das 17. Jahrhundert ist seit Jahren in der historischen Forschung nicht «en vogue». Zwischen dem heroischen 16. Jahrhundert der Reformation und dem lichten 18. Jahrhundert der Aufklärung fristet es als finsteres Jahrhundert der protestantischen Orthodoxie, der Gegenreformation und der kleinen Eiszeit ein Mauerblümchendasein. Zwar sind in der «Profangeschichte» einige Studien, etwa zur Schweiz am Westfälischen Frieden von 1648 (1999) oder zur Ausbildung der Souveränität der Eidgenossenschaft erschienen. Auch in der Kirchengeschichte sind einige Historiker mit Arbeiten etwa zur Luzerner Nuntiatur (1997), zur Geschichte der Diözese Basel in der Frühen Neuzeit (2003) oder zum Basler Domkapitel (2004) hervorgetreten, nicht zu reden von Nachschlagewerken wie der glücklich abgeschlossenen Helvetia Sacra oder den Bischofslexika von Erwin Gatz. Düsterer sieht es im Bereich der Quelleneditionen für das 17. Jahrhundert aus, wo in den letzten Jahren kaum neue Publikationen zu verzeichnen sind. Daher sind die beiden hier anzuzeigenden Bände mit dem Amtstagebuch des Basler Generalvikars und Weihbischofs Thomas Henrici aus den Jahren 1634 bis 1642 besonders verdienstvoll. Zwar behandelt die Edition mit nur gerade acht Jahren eine relativ kurze Zeit, aber diese Jahre sind turbulent: Dreissigjähriger Krieg, katholische Reform, Gegenreformation, Konflikte mit den katholischen und protestantischen Landesherren sind nur einige der Stichwörter, welche die Verantwortlichen der Diözese Basel vor grosse Herausforderungen stellten. Zudem handelt es sich beim Akteur Thomas Henrici um einen in der schweizerischen Kirchengeschichte ausserordentlichen Seelsorger, Theologen und Politiker, der bis anhin noch zu wenig beachtet wurde und hier eine erste umfassende Würdigung, wenigstens für seine seelsorgerliche Tätigkeit als Generalvikar, erfährt.

Thomas Henrici wurde 1597 als Sohn lothringischer Eltern – der Vater war Soldat in der spanischen Armee – bei Gent geboren. Nach philosophischen und theologischen Studien in Trier, Mainz und Pont-à-Mousson wurde er 1621 in Metz zum Priester geweiht und bereits 1623 Professor der Kontroverstheologie an der Universität Freiburg i. Br. Gefördert vom Basler Domherrn Johann Heinrich von Ostein wurde er nach dessen Wahl zum Fürstbischof von Basel (1628) Nachfolger im Domkapitel (1630), das seit der Reformation in Basel in der vorderösterreichischen, in der Diözese Konstanz gelegenen Stadt Freiburg i. Br. residierte. Im Herbst 1632 floh er vor den heranrückenden Schweden nach Pruntrut zu seinem fürstbischöflichen Gönner, der ihn 1634 zum Generalvikar ernannte. 1643 wurde Henrici Domdekan und apostolischer Missionar und 1648 schliesslich Weihbischof des Bistums Basel. Nach dem Tod von Fürstbischof von Ostein im Jahre 1646 war der Bischofssitz bis zum Tode Henricis 1660 nur während rund 4 Jahre besetzt; in den übrigen zehn Jahre musste Henrici neben den spirituellen, auch zahlreiche weltliche Aufgaben der Bistumsleitung alleine schultern. Seine politische Rolle ist schlecht erforscht: Sicher war er an den Verhandlungen über den Einschluss des Fürstbistums Basel ins eidgenössische Defensionale (1652) und an der Erneuerung des Bündnisses des Hochstifts mit den VII katholischen Orten (1655) massgeblich beteiligt. Ebenfalls schlecht erforscht ist sein wissenschaftliches Werk. Neben zahlreichen Manuskripten hinterliess er mehrere gedruckte Werke, unter anderen eine «Anatomia Confessionis Augustanae» (1631) und das christlich-pazifistische Traktat gegen den Krieg «Bellum e sacrarum litterarum verbis et exemplis descriptum» (1639). Sein berühmtestes Werk ist aber zweifellos das 1659 auf Deutsch erschienene «Irenicum catholicum oder Allgemeiner Religion-Frid», in dem er als Ökumeniker «avant la lettre» für eine friedliche Wiedervereinigung der Christen eintrat. Dieses Werk durfte ich (im noch jugendlichen Alter) in dieser Zeitschrift vorstellen (ZSKG 71, 1978, 74–106).

Das hier besprochene Amtstagebuch hat Thomas Henrici gleich nach seiner Ernennung zum Generalvikar angelegt. Es befindet sich heute in der Bibliothèque cantonale du Jura in Pruntrut und nicht, wie man eigentlich erwarten würde, in den Archives de l’ancien Evêché de Bâle in Pruntrut. Das lateinische Original wird integral im zweiten Band abgedruckt und ausführlich kommentiert. Im ersten Band bringt der Herausgeber die gleiche Quelle, aber hier vollständig auf deutsch und französisch übersetzt. Die französische Übersetzung besorgte der Herausgeber selber, die deutsche der frühere Redaktor der Helvetia Sacra, Patrick Braun. Deutsch sind die diejenigen Texte, welche deutschsprachige Gebiete der Diözese Basel betreffen, also Teile des Kantons Solothurn, das vorderösterreichische ricktal und die deutschen Ämter des Fürstbistums Basel (Laufental, Birseck). Dieser für eine Quellenausgabe ausserordentliche Aufwand, basierend auf einer lobenswerten sprachpolitischen Sensibilität, ermöglicht es nun allen Interessierten – auch denjenigen, die des Lateins nicht kundig sind –, diese Quelle zu nutzen.

Im ersten Teil seines «Directoriums» stellt Henrici die zentralen Dokumente, welche den Rahmen seiner Tätigkeit absteckten, an den Anfang: die «Konkordate» des Basler Bischofs mit Erzherzog Leopold von Österreich von 1626 für die vorderösterreichischen Gebiete im Elsass und mit dem Kanton Solothurn (1621, 1633), dann die Berichte der Ad-Limina-Besuche von 1633 und 1639, in denen die dramatische Lage der Diözese geschildert wird, und die Liste der Pfarreien und Pfarrer aus dem Jahre 1634/35. Schliesslich folgen die detaillierten Berichte seiner Pastoralbesuche in den Pfarreien und an den Jahresversammlungen einiger Landdekanate.

Der zweite Teil, den Henrici einen Rechenschaftsbericht seiner Tätigkeit als Generalvikar nennt, besteht aus dem eigentlichen Amtstagebuch, in dem er mit zahlreichen Unterbrüchen seine täglichen Geschäfte schildert: die Beziehungen zu den weltlichen Behörden Solothurns und Vorderösterreichs, zum Nuntius in Luzern, zu Klöstern und Chorherrenstifte in seiner Diözese, Examina und Zulassungen von Priester- und Pfarramtskandidaten. Das Tagebuch wird immer wieder unterbrochen durch Berichte über Visitationen. Es fällt auf, dass Henrici vor allem über den südlichen Teil der damaligen Diözese Basel berichtet, also über die Gebiete, die heute die Nordwestschweiz bilden. Der oberelsässische Sprengel kommt vergleichsmässig selten zur Sprache, wohl weil Henrici wegen des Krieges im Elsass keine ordentliche Amtstätigkeit ausüben konnte. Erst 1642 unternimmt er eine Pastoralreise in die verwüsteten Gebiete. Der letzte Eintrag datiert vom 3. September 1642 aus dem elsässischen Gebwiler; dann bricht das Directorium abrupt ab.

Aus den Aufzeichnungen tritt ein Seelsorger hervor, der sich mit allen seinen psychischen und physischen Kräften in den Dienst seiner Diözese und insbesondere der Umsetzung der tridentinischen Reform stellte. Vor allem die Hebung der Qualität des Klerus, aber auch die Katechese von alten und jungen Gläubigen lagen ihm besonders am Herzen. Entschieden trat er den Einmischungen von weltlichen und geistlichen Instanzen in die Kompetenzen des Basler Ordinariats entgegen. Vor allem die systematisch aufgebauten Pastoralberichte geben eine tiefen Einblick in das religiöse und weltliche Leben jeder von ihm besuchten Pfarrei und folgen immer dem gleichen Muster: Patron der Pfarrei, Lebenslauf (vor allem Bildungsgang) des Pfarrers und der anderen Priester, deren Qualität und Einsatz, Zustand der Gebäude und Einkünfte, Anzahl Kommunikanten, Schule, Urteile des Pfarrers über seine Pfarreiangehörige und Mitbrüder, Urteile der Pfarrangehörige über ihren Pfarrer.

Das von Henrici gezeichnete Bild seiner Diözese ist durchzogen. Er traf auf gebildete und eifrige Priester in gut funktionierenden Pfarreien, aber auch auf schwierige und für ihn inakzeptable Zustände: trunk- und streitsüchtige, ja auch «schlagfertige» Priester, auf Pfarrer, die sich lieber anderen Tätigkeiten wie Landwirtschaft und Jagd widmeten als der Seelsorge und wirtschaftlich schlecht haushalteten, auf vernachlässigte Kirchengebäude, auf ungenügende Einkünfte, auf Kriegsschäden (vor allem im Fricktal und im Elsass). Es fällt auf, dass fast hundert Jahre nach dem Konzil von Trient der Zölibat noch nicht überall durchgesetzt war. In einzelnen Pfarrhäusern traf er Pfarrer mit eigener Familie oder mit eigenen Kindern im Pfarrhaus, so etwa in Wangen, wo der Pfarrer mit seiner Tochter, dem Schwiegersohn, der auch noch Siegrist war, und den Enkeln zusammen lebte (I, 73). Einige Priester verkehrten mit Frauen und hatten illegitime Kinder. Ein besonderes Augenmerk legte Henrici auf die konfessionelle Situation, besonders in den Grenzgebieten zu protestantischen Gegenden. Der spätere Autor des «Irenicum Catholicum» ging energisch gegen die Aufweichung der konfessionellen Grenzen vor: Er verlangte, dass reformierte Dienstboten und Niedergelassene ausgewiesen werden sollten, die katholischen Kinder nicht in reformierte Schulen geschickt werden und Mischehen verhindert werden sollten. Auf der anderen Seite scheute Henrici den direkten Kontakt mit Andersgläubigen nicht, so wenn er auf der Landstrasse bei Welschenrohr zufällig auf eine Gruppe durchreisender Basler stiess, unter denen sich auch der ihm offenkundig bekannte reformierte Schaffner des Domkapitels befand, mit denen er dann zum gemeinsamen Trunk zusammensass.

Dem sorgfältig edierten und gründlich kommentierten Amtstagebuch folgen weitere, Henrici betreffende Quellen verschiedener Provenienz: so die von Henrici verfassten Statuten des Landkapitels Buchsgau von 1641, Akten zu seiner Tätigkeit als apostolischer Administrator sowie zum Informativsprozess von 1646/47 und schliesslich das Testament von 1654. Der Herausgeber rundet die Quellenedition ab mit der bis heute umfassendsten Biographie Henricis, einer Prosopographie des Klerus, und einer (ersten) Übersicht und Wertung des theologischen und pastoralen Werks von Thomas Henrici.

Mit dieser sorgfältigen und gründlich kommentierten Quellenedition haben der Herausgeber und der Verlag in verdankenswerter Weise einen wertvollen Beitrag zur Erforschung des 17. Jahrhunderts im Allgemeinen und der Diözese Basel im Besonderen geleistet. Wir können nur hoffen, dass die Historiker diesen reichen Schatz, der uns da dargeboten wird, zur Kenntnis nehmen und für ihre Forschungen nutzen.

Zitierweise:
Marco Jorio: Rezension zu: Jean-Pierre Renard (Hg.), Thomas Henrici (1597–1660). Bd.1: Le journal «raisonné» d’un vicaire général du diocèse de Bâle dans la première moitié du XVIIe siècle – Das Amtstagebuch eines Generalvikars des Bistums Basel in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bd. 2: Directorium pro vicariatu generali in episcopatu Basiliensi, Freiburg, Academic Press Fribourg, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 486-488

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